Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil …

Besuch im Amtsgericht

„Der Jugendliche im Rechtsstaat“ ist eines von acht Hauptthemen des Unterrichts in Geschichte, Erdkunde und Sozialkunde (GSE) in der 7. Jahrgangsstufe. Nachdem sich das Wissen Jugendlicher in diesem Bereich eher auf den Konsum nachmittäglicher Gerichtssoaps („Richter Holt“, …..) beschränkt, beschlossen die beiden Klassenleiterinnen Christine Müller und Steffi Zeus, den Schülern die Möglichkeit zu geben, sich ein eigenes Bild von einer „echten“ Gerichtsverhandlung zu machen. Sie besuchten das Amtsgericht in Neumarkt.

Bei unserem Eintreffen kurz nach 9.00 Uhr waren alle Beteiligten, der Beschuldigte, eine Dame von der Jugendgerichtshilfe, die Staatsanwältin, die Protokollführerin und Amtsrichter Danny Schaller schon bereit, die Verhandlung zu beginnen. Der souveräne, jugendlich wirkende Richter begrüßte uns mit den Worten: „Es ist immer eine Freude, eine Schulklasse in einer Verhandlung hier zu haben, weil das für euch eine gute Möglichkeit ist, live zu sehen und zu erleben, wie so ein Verfahren abläuft, ohne dass der einzelne von euch gleich ein Vergehen begangen haben muss.“ Nach der Feststellung der Personalien des Angeklagten, begann die Staatsanwältin mit dem Verlesen der Anklageschrift. Ein Heranwachsender (20 Jahre alt) hatte auf der Autobahn A6 einen PKW in der 120-er Zone rechts überholt, sich dann vor diesem auf die linke Spur gesetzt und ihn „ausgebremst“. Anschließend zeigte der jugendliche Fahrer den „ Stinkefinger“ in Richtung der beiden Fahrzeuginsassen des überholten PKWs. Was der junge Mann nicht wusste, bei den beiden Männern handelte es sich um Polizeibeamte, die auf dem Heimweg von ihrer Schicht waren. Nach der Ausfahrt Schwabach hielten sie den Fahrer an, gaben sich zu erkennen und stellten Personalien und Fahrzeugpapiere fest. Daraufhin erstatteten sie Anzeige.

Nachdem der Tathergang durch einen der beiden Polizeibeamten als Zeugen belegt war und der Angeklagte bereits wegen zahlreicher Verkehrs- und Geschwindigkeitsverstöße vorgeahndet war, wurde er von der Staatsanwältin in ihrem Plädoyer nicht mit Samthandschuhen angefasst. Nur der Tatsache, dass er seit kurzem wieder einen Arbeitsplatz hat und den Führerschein dazu benötigt, der Anwendung des Jugendstrafrechts, und der Tatsache, dass man ihm eine Chance geben will, sein Leben in den Griff zu bekommen, sei es zu verdanken, dass das Urteil nicht wie gefordert, sehr viel strenger ausgefallen sei. Er bekam zwei Wochenenden Jugendarrest (Jugendgefängnis), vier Wochen Entzug der Fahrerlaubnis und 60 Stunden soziale Arbeit aufgebrummt. Im Anschluss an dieses Verfahren gab uns Richter Schaller noch die Möglichkeit Fragen zu stellen, was von den Schülern gerne genutzt wurde.

Sehr viel tragischer war der anschließend verhandelte Fall eines heranwachsenden 19-Jährigen, der mit dem Traktor von einer Vorfahrtsstraße kommend links abgebogen war und einen entgegen kommenden Motorradfahrer übersehen hatte. Der Motorradfahrer trug lebensgefährliche Verletzungen durch den Unfall davon, sein linkes Bein wurde unterhalb des Knies abgetrennt, er erlitt schwere innere Verletzungen und lag zwei Wochen im Koma. Der Beschuldigte stand noch immer unter Schock, dass sein „Momentversagen“ für den anwesenden Unfallgeschädigten gravierenden Einfluss auf dessen künftiges Leben hat. Der Verletzte kämpft weiterhin mit massiven Schmerzen, kann seinen erlernten Beruf nicht mehr ausüben und muss sich umschulen lassen. Immer wieder betonte der junge Unfallverursacher, wie leid ihm der Unfall täte und wie gern er alles rückgängig machen würde. Das Gericht wertete diesen Umstand, ebenso wie die Tatsache, dass der Beschuldigte sich bisher noch nichts Gravierendes hatte zuschulden kommen lassen als strafmindernd. Der reuige junge Mann kam mit einer Geldstrafe in Höhe von 2800 € davon.

Die Schüler verfolgten schweigend und sichtlich ergriffen dieses Verfahren, wohl auch in dem Wissen, dass sich manch einer selber schon einmal ans Steuer eines Traktors gesetzt und auf dem heimatlichen Hof ein paar Runden gedreht hat. Während der zweiten Verhandlung waren die Schüler und Schülerinnen aufgefordert, einen Beobachtungsbogen auszufüllen und am Ende ihr Votum abzugeben: Mit dem Urteil bin ich einverstanden/nicht einverstanden. Warum? Wie der Unfallverursacher waren auch die Schüler der Meinung, dass die Strafe hart, aber gerecht ausgefallen sei. (cm)

Besuch im Gericht